Praxisorientierte Kompetenzentwicklung

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Vorwort

Ben ist ein Multikompetenztalent 😉 – Er macht Podcasts, absolviert gerade einen CAS Organisationsentwicklung, ist mit CoLearning unterwegs, arbeitet als Personal- und Organisationsentwickler und unterhält ganz nebenbei einen der spannendsten, umfangreichsten und praxisorientiertesten Blogs (www.bensblog.ch), welche ich kenne 👍.

Entsprechend freue ich mich, dass er einen Gastbeitrag beisteuert. Dabei geht es – wenig verwunderlich – um Kompetenzentwicklung in der Praxis, bzw. um eine kompetenzorientierte Lernkultur (gehört ab sofort zu einem meiner Lieblingswörter!)

Viel Spass und ganz viel Inspiration beim Lesen.
Andreas Mollet


Dies ist ein Gastbeitrag von Ben Zaugg

Praxisorientierte Kompetenzentwicklung

Die Arbeitswelt ist im Wandel. Was früher längerfristig plan- und umsetzbar war, wird heute von schnelleren und kürzeren Zyklen der Veränderung abgelöst. Wir leben in einer VUKA-Welt, die von Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägt ist. Da sind zum Beispiel die geopolitischen Veränderungen (Krieg in Europa), der demografische Wandel (Prognostizierter Mangel an Arbeitskräften gem. economiesuisse in der Schweiz im Jahr 2040 = 431’000 Personen) [1] oder die rasanten technologischen Veränderungen u. a. durch die KI, deren Auswirkungen heute nur geschätzt werden können. Mitarbeitende benötigen in den nächsten Jahren neue Kompetenzen. Insbesondere im Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung weist das Zukunftsinstitut darauf hin, dass der Verschmelzung von Technologie und sozialen Systemen besondere Beachtung als aktuelles Handlungsfeld geschenkt werden sollte. [2] Sie identifizieren die Entwicklung von sogenannten «Future Skills» als entscheidend, um den Anforderungen in der Zukunft gerecht zu werden. Diese sollten gezielt und laufend auf- und ausgebaut werden. Da dieses Lernen zunehmend informell und im «Moment of Need» stattfindet, braucht es neue Möglichkeiten der Kompetenzentwicklung und Kompetenzabbildung.

«Egal wie wir Veränderung wahrnehmen, jede ist ein Lernprozess.» [3]
aus Agiles Lernen (2022), S. 21

Lernen (ver-)lernen

Mit dem Wandel in der Arbeitswelt, der durch schnelle Veränderungen und kürzere Lebenszyklen sowie einer immer höheren Vernetzung geprägt ist, sind nicht nur die Anforderungen an unsere Arbeit anders, sondern auch unser Lernen ist davon betroffen. Wir kommen aus einer Zeit, in der Lernbedarfe von aussen (Personalentwicklung, HR) eruiert und entsprechende Bildungsangebote konzipiert wurden. Diese Prozesse brauchen Zeit und können vielen Anforderungen in der heutigen digitalisierten (Arbeits-) Welt zunehmend weniger gerecht werden, da Wissen und Informationen schnell benötigt werden oder genauso schnell veraltet oder überholt sind. Es braucht deshalb ein neues Lernverständnis für die Arbeitswelt in der digitalen Netzwerkgesellschaft, wie Foelsing und Schmitz (2021) sie nennen. Bei dieser stehen die individuellen Lern- und Entwicklungsthemen der Arbeitnehmenden im Zentrum. Wir müssen unser Verständnis von Lernen und Lehren wieder neu lernen oder eben verlernen. Einen wesentlichen Einfluss darauf hat die Lernkultur in der Organisation.

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Arbeits- und Lernwelt im Wandel. Quelle Schönfeld J, Tillman T. (2021), S. 21, eigene Visualisierung

«Wer Papierschiffe faltet lernt wenig über Wasser, das Meer und den Wind. Ganz anders verhält es sich, wenn wir nach draussen gehen, den Wind fühlen, das Wasser und die Segelschiffe beobachten. Noch konkreter wird es, wenn wir auf ein Boot steigen und nun irgendetwas tun müssen.»

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Lernkultur

«Der Begriff «Lernkultur» meint, die Kultur des Lernens und Lehrens in einem Unternehmen.» [4]
Aus Agiles Lernen (2022), S. 243

Die Lernkultur ist ein Teil der Unternehmenskultur und steht mit dieser in Wechselwirkung. Die (Lern-) Kultur sollte so entwickelt oder beeinflusst werden, dass Mitarbeitende Verantwortung für sich und ihren eigenen Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen können und sollen. Graf, Gramms, Edelkraut (2022) schreiben dazu, dass dabei alle (vom Topmanagement bis zu den Trainer:innen) gefordert sind. [5] Denn wie bei Lernhacks (2021) beschrieben, hat eine starke Lernkultur u. a. einen positiven Einfluss auf die die Zukunftsfähigkeit, Produktequalität und Mitarbeiterproduktivität. [6]

Gemäss Foelsing & Schmitz (2021) [7] zeichnet sich eine lernförderliche Organisationskultur für die Arbeitswelt im momentanen Umfeld durch diese Elemente aus:

  • Hoher Stellenwert des Lernens im Unternehmen
  • Das kontinuierliche Lernen von Individuen und Teams wird als ein entscheidendes Element erachtet, um zukünftige Herausforderungen und Veränderungen bewältigen zu können.
  • Das Lernen wird als Grundlage für Innovations-, Wettbewerbs- und Anpassungsfähigkeit bewertet.

Eine gelebte Lernkultur schafft die Basis, doch entscheidend ist, wie sich diese Kultur in der Praxis ausdrückt. Genau hier setzt die Kompetenzorientierung an – sie macht Lernen alltagsnah und fördert gezielt die Fähigkeiten, die heute und in Zukunft gebraucht werden.

Kompetenzorientierung

Kompetenzorientierung stellt die Entwicklung von Menschen, ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Fokus. Lernende werden befähigt und befähigen sich selbst, Herausforderungen in der (Arbeits-)Welt zu bewältigen. Kompetenzorientierung heisst:

  • Praxisorientierung: Es geht bei den Lerninhalten um reale Themen/Projekte und Kompetenzen die zu den alltäglichen beruflichen und/oder persönlichen Herausforderungen passen.
  • Individuelle Lernwege: Die Vorkenntnisse und Bedürfnisse der Lernenden stehen im Vordergrund. Lerninhalte und Methoden werden an die Bedürfnisse der Menschen angepasst oder gleich von ihnen selbst bestimmt und er- und bearbeitet.
  • Kooperation & Reflexion: Lernende und «Lehrende» sind im regelmässigem und gegenseitigen Austausch.
  • Neue Rollen für Lernende und Lehrende: Lernende werden zu (Mit)Gestalter:innen ihres eigenen Lernens und dem der Gruppe. «Lehrende» werden zu Lernbegleiter:innen oder Lerncoaches.

«Menschen lernen in der Form einer Suchbewegung. Diese ist stets Ausdruck einer eigenen Begründung bzw. eines eigenen Lernprojekts.»
Aus Entlehrt euch! Ausbruch aus dem Vollständigkeitswahn (2017), S. 16

Vorteile der Kompetenzorientierung

Der Fokus auf die individuellen Lernwege und die praxisnahe Kompetenzentwicklung scheint in Anbetracht der Lebensrealität von uns Menschen sowie der Art wie sich die Arbeitswelt verändert zwingend. Sie bringt viele Vorteile mit sich.

  • Lernen macht (wieder) Freude: Das praxisorientierte Lernen hat eine Relevanz für die Lernenden. Lerninhalte und Praxis sind direkt verknüpft. Das kann einen positiven Einfluss auf wichtige Faktoren wie Bedeutsamkeit, Selbstwirksamkeit und Einfluss zu Sinnempfinden bei der Arbeit (Schnell 2016) und dem psychologischen Empowerment (Schermuly 2021) haben.
  • Anpassungsfähigkeit an Veränderungen: Durch praxisorientiertes und individuelles Lernen entwickeln Mitarbeitende die Fähigkeit, schneller und flexibler auf Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren.
  • Realitätsnah und Praxisorientiert: Beim kompetenzorientierten Lernen verfliessen i. d. R. verschiedene (Fach-)Bereiche miteinander. Persönliche und fachliche Entwicklung lassen sich nicht mehr klar trennen. Durch die (Teil-)Verantwortung der Lernenden an ihren eigenen Lernprozessen werden u. a. Problemlösefähigkeiten, Selbstreflexion, Kooperation und Kollaboration gefördert.
  • Lebenslanges Lernen: Lernen will gelernt sein und so müssen wir auf dem Weg zum kompetenzorientierten Lernen vieles wieder verlernen. Viele Menschen «müssen» zuerst wieder erleben und entdecken, dass sie kompetente Lerner:innen sind. Die kontinuierliche Kompetenzentwicklung wird so gefördert.

«Erforderlich ist vielmehr die Stärkung des methodischen und sozialen sowie emotionalen und reflexiven Vermögens der oder des Lernenden an und in der Auseinandersetzung mit inhaltlichen Fragen. Der reflexible Menschen lernt dabei nicht nur «etwas», sondern erweitert seine persönlichen Fähigkeiten.»
Aus Entlehrt euch! Ausbruch aus dem Vollständigkeitswahn (2017), S. 16

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Gelingensfaktoren zur Etablierung einer entwicklungs- und kompetenzorientierten Lernkultur

Die Etablierung einer entwicklungs- und kompetenzorientierten Lernkultur ist ein Change- oder sogar ein Transformationsprozess. Je nachdem, wo die Organisation in Bezug auf Führung, Lernen und Zusammenarbeit steht. Bei der Implementierung ist darauf zu achten, diese Schritte passend zur bestehenden und zur angestrebten Organisationsstruktur zu gehen. Die Massnahmen können sich in der Umsetzungsdauer, Intensität und Tiefe unterscheiden.

Die folgenden Aspekte unterstützen eine gelingende Einführung sowie die Etablierung von Kompetenzentwicklung im Arbeitskontext.

  • Vision und Zielbild der Lernkultur
  • Klare Kommunikation der Ziele und Vorteile
  • Unterstützung durch das Management und Führungskräfte
  • Einbindung der Mitarbeitenden
  • Niederschwellige und praxisnahe Umsetzung
  • Anpassung an den Reifegrad der Organisation und der Mitarbeitenden
  • Unterstützung durch Early Adopters
  • Integration in den Arbeitsalltag
  • Umgang mit Unsicherheiten und Widerständen
  • Förderung einer positiven Lernkultur
  • Förderung des Mindshifts hin zu einer Lernkultur
  • Schulung und Entwicklung von Selbstlernkompetenzen
  • Bereitstellung von Ressourcen
  • Anreize und Motivation

6 Schritte zur Etablierung einer kompetenzorientierten Lernkultur

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6 Schritte zur Etablierung einer entwicklungsorientierten Lernkultur. Eigene Darstellung.

 

Praxisorientierte Kompetenzentwicklung Tabelle

Schlussgedanken und Ausblick

Mit dem Wandel der Arbeitswelt verändern sich auch die Anforderungen an unser Lernen und unsere Entwicklung. Künstliche Intelligenz und digitale Lerncoaches eröffnen neue Möglichkeiten: Sie unterstützen Mitarbeitende nicht nur gezielt in ihrer persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung, sondern bieten ihnen auch Werkzeuge, um eigenständig Lernprozesse zu gestalten und ihre Kompetenzen stetig auszubauen. Die Einführung einer kompetenzorientierten Lernkultur erfordert Mut zur Veränderung und ein Umdenken in den Rollen von Führungskräften und Mitarbeitenden. Doch langfristig schafft sie die Grundlage für eine Organisation, die lernfähig, flexibel und bereit für die Zukunft ist.

 


Fussnoten

[1] Die Schweizer Wirtschaft will die demografische Herausforderung anpacken, https://www.economiesuisse.ch/de/artikel/die-schweizer-wirtschaft-will-die-demografische-herausforderung-anpacken# aufgerufen am 12.09.2021
[2] https://www.zukunftsinstitut.de/zukunftsthemen/zukunft-der-arbeit, aufgerufen am 10.09.2024
[3] Graf N., Gramss D., Edelkraut F. (2022), S. 21
[4] Graf N., Gramss D., Edelkraut F. (2022), S. 243
[5] Vgl. Graf N., Gramss D., Edelkraut F. (2022), S. 243
[6] Vgl. Schönfeld J, Tillman T. (2021), S. 17
[7] Foelsing J., Schmitz A. (2021), S. 198

 


Literatur

 


Quellen

Ben Zaugg

Über Ben Zaugg

Ben Zaugg beschäftigt sich mit der Entwicklung von Menschen und Organisationen im Wandel. Er versteht Lernen als zentrale Kraft für positive Veränderung. Seine Gedanken und Erfahrungen für eine zeitgemässe Arbeits- und Lernkultur teilt er auf http://bensblog.ch.

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