personalSCHWEIZ: Interview Skill- und Kompetenzmanagement
Das vollständige Experten-Interview aus personal SCHWEIZ Ausgabe 10: Dezember 2021 – Januar 2022 mit Andreas Mollet
Die Wirkung steht im Vordergrund
Unternehmen sind mehr denn je auf Mitarbeitende mit den «richtigen» Skills und Kompetenzen angewiesen, um auch zukünftig zu bestehen. Was es zum Aufbau eines erfolgreichen Kompetenzmanagements braucht und woran man «kompetente» Mitarbeitende erkennt, haben wir Andreas Mollet, Geschäftsführer von INOLUTION, gefragt. Im Titelinterview spricht der Kompetenz-Spezialist über die Balance zwischen Hard und Soft Skills. Und er verrät, wie durch den Aufbau von Kernkompetenzen echte Wettbewerbsvorteile entstehen.
Interview geführt von Dave Husi
Dave Husi: Herr Mollet, Sie setzen sich bei Ihrer Arbeit täglich mit Kompetenzen resp. dem Aufbau von diesen auseinander. Ganz grundsätzlich gefragt: Wann ist jemand «kompetent»?
Andreas Mollet: Im modernen Verständnis ist eine Person dann kompetent, wenn sie die beabsichtigte Wirkung erzielt. Im Zentrum steht also die Handlung im Abgleich mit dem gewünschten unternehmerischen oder persönlichen Ergebnis. Das ist auch der elementare Unterschied zur rechtlichen Kompetenz, welche nur allfällige Befugnisse umschreibt. Denn nur weil jemand die (rechtliche) Kompetenz hat, ist er nicht zwingend auch (wirkungs-)kompetent.
Im Zusammenhang mit Kompetenzen fallen oft die Begriffe «Skills» und «Capabilities» resp. «Fähigkeiten». Auf den ersten Blick meinen alle dasselbe, worin liegt der Unterschied?
Sie werden umgangssprachlich tatsächlich oft auch synonym verwendet. Genaugenommen sind Capabilites aber Fähigkeiten und Skills Fertigkeiten. D.h., sie entsprechen den klassischen Fach- und Methodenkompetenzen. Kompetenzen sind hingegen umfassender und beziehen auch weitere Aspekte wie Persönlichkeit, Werte und Normen der Personen mit ein. Also all jene Aspekte, welche die Handlung und die erzielte Wirkung von Mitarbeitenden in Unternehmen beeinflussen.
«Kompetenzentwicklung ist aktive Unternehmensentwicklung.»
Für Unternehmen sind Mitarbeitende mit den «richtigen» Kompetenzen entscheidend. Hier kommt das Kompetenzmanagement ins Spiel. Was versteht man darunter?
Eine beabsichtigte Unternehmensstrategie oder ein Leistungsauftrag wird nur dann erfolgreich umgesetzt, wenn Mitarbeitende über die richtigen Kompetenzen verfügen. Da diese Kompetenzen entsprechend für jede Strategie oder jeden Auftrag variieren, sind Kompetenzen in einem Kontext richtig, im anderen Kontext aber nicht passend. Der Linienbusfahrer, der täglich die schnellste, wenn auch andere Route nimmt, ist zwar diesbezüglich kompetent, aber nicht der Richtige. Umgekehrt ist Kompetenzmanagement auch Unternehmensführung. Wenn eine Organisation weiss, über welche Kompetenzen die Mitarbeitenden verfügen, kann das bewusst als Stärke oder Wettbewerbsvorteil genutzt werden. Insofern ist Kompetenzentwicklung auch aktive Unternehmensentwicklung.
Ist Kompetenzmanagement nicht dasselbe wie Talentmanagement?
Nein, auch wenn es natürlich sehr starke Verknüpfungen gibt. Das Kompetenzmanagement ist grundsätzlich für alle Mitarbeitenden relevant, weil es darum geht, die unternehmerische Leistungsfähigkeit jedes Mitarbeitenden sicherzustellen. Das Talentmanagement berücksichtigt auch Kompetenzen, fokussiert aber meist darauf, Potenziale zu erkennen und zukünftige Talente zu entwickeln. Wenn wir aber davon ausgehen, dass das Talentmanagement der Zukunft nicht elitär ist und alle Mitarbeitenden einbezieht, dann nähern sich die beiden Systeme noch näher an.
Beim Kompetenzmanagement spielen Kompetenzmodelle eine wichtige Rolle …
Nicht eine wichtige, sondern die entscheidende Rolle. Das Kompetenzmodell ist der Kompass im Kompetenzmanagement. Er gibt die entscheidende Richtung vor, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Ohne individuelles und auf das Ziel abgestimmtes Kompetenzmodell entwickelt eine Organisation unter Umständen die falschen, nicht benötigte oder sogar hinderliche Kompetenzen bei den Mitarbeitenden.
Empfehlen Sie Unternehmen, eine individuelle Standortbestimmung der Fähigkeiten aller Mitarbeitenden vorzunehmen?
Entscheidend ist, dass Unternehmen wissen, über welche Kompetenzen die Mitarbeitenden verfügen, und zwar latente, potenzielle, persönliche, unternehmerische informelle und formelle Kompetenzen. Mit welcher Methode die Erfassung geschieht, ist jedoch zweitrangig. Gerade im Bereich der künstlichen Intelligenz sind hier zudem spannende Tools am Entstehen, um entsprechende Kompetenzbibliotheken aufzubauen.
Ist die Unternehmensgrösse ausschlaggebend dafür, ob ein Kompetenzmanagement sinnvoll ist?
Nein, im Gegenteil, gerade bei kleineren Unternehmen ist es sogar noch wichtiger, zu wissen, welche Kompetenzen bei wem vorhanden oder nicht vorhanden sind. Der Unterschied liegt oftmals nur darin, dass dieses Wissen in kleineren Unternehmen transparenter ist.
Hard Skills vs. Soft Skills – was ist wichtiger?
Gegenfrage: Was ist ein Hard Skill und was ein Soft Skill? Solange wir das nicht definieren, können wir das weder global noch als Unternehmen beantworten. Kommunikation ist normalerweise ein typischer Soft Skill. Doch in der Marketingabteilung wird er zum Hard Skill, weil Kommunikationsmethodik eine Voraussetzung ist. Ist Zeit- oder Projektmanagement nun Hard oder Soft Skill? Der Kontext und die Situation sind relevant. Schlussendlich geht es um die Wirkung, und die setzt je nach Funktion, Rolle oder Unternehmen einen bestimmten Mix aus Hard und Soft Skills voraus. Der richtige Mix ist entscheidend.
«Entscheidend ist, dass Unternehmen wissen, über welche Kompetenzen die Mitarbeitenden verfügen.»
Up- und Reskilling werden im Zusammenhang mit Kompetenzen oft genannt. Was ist damit gemeint?
Up-Skilling ist eine Kompetenzerweiterung innerhalb der Funktion. Dabei bleibt die Aufgabe im Kern identisch, benötigt aber neue, teils anspruchsvollere Fertigkeiten. Ein klassisches Beispiel ist der Mechatroniker, welcher aufgrund der Digitalisierung der Autos den klassischen Mechaniker ablöst. Das Up-Skilling liegt also vor allem im Interesse der Unternehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Re-Skilling ist eine Kompetenzerweiterung in ein neues Tätigkeitsgebiet. Dies meist, weil die Funktionen oder grosse Teile, z.B. durch Automatisierung, Digitalisierung oder künstliche Intelligenz, obsolet werden. Beispiele hierfür gibt es vor allem in der Industrie (Lagerarbeiten, Fertigungsarbeiten, Textilarbeitende), aber auch Dienstleistungsberufe sind zunehmende gefährdet (Zugbegleiter, Busfahrer, Bankangestellte). Hier sind Unternehmen und Mitarbeitende gleichermassen gefordert, Lösungen zu finden.
Ich möchte aber noch einen dritten Begriff einbringen: New Skilling. Der Fokus liegt dabei auf neuen Fähigkeiten, welche unabhängig von Funktionen in der Zukunft wichtig sind, sogenannte transversale oder Meta-Kompetenzen.
Welche Rolle spielen denn Meta-Kompetenzen und Kernkompetenzen?
Eine entscheidende, denn diese Meta-Kompetenzen sind für die Entwicklung eines ganzen Wirtschaftsstandorts oder eines Landes zentral, und entsprechend sind Bildungssysteme und die Gesellschaft gleichermassen gefordert. Klassische Beispiele hierfür sind z.B. die 4K: Kommunikation, Kreativität, Kollaboration oder kritisches Denken.
Kernkompetenzen sind hingegen – angelehnt an die Betriebsökonomie – Kompetenzen, die schwer erlernbar, nicht kopierbar und nicht substituierbar sind. Dadurch entstehen wirkliche Wettbewerbsvorteile von Personen oder Organisationen. Kernkompetenzen entstehen meist, wenn zwei Kompetenzen aus unterschiedlichen Bereichen sich ergänzen oder eine Person zwei unterschiedliche Themengebiete beherrscht. Wie z.B. bei Apple Technologie- und Marketingkompetenz zusammenkommen oder wenn ein Jurist noch Psychologie studiert hat.
Neuerdings ist auch oft von Werten die Rede. Welche Rolle spielen diese?
Werte sind das neue Wissen. Früher lag der Fokus vor allem auf dem klassischen Fach- und Methodenwissen. Doch einerseits ist heute Wissen grundsätzlich allgemein zugänglich, und andererseits zeigt die Erfahrung, dass die Wirkung einer Person nicht immer mit dem Ausprägungsgrad des Wissens korrelieren muss. Wenn eine Person nicht sehr zuverlässig ist, dann beeinträchtigt das zwingend die Wirkung. Also werden vermehrt die persönlichen Werte von Mitarbeitenden zum entscheidenden Faktor.
Wie stehen Sie zum oft gehörten Satz «Hire for Attitude, train for Skills»?
Im Kern steckt viel Wahrheit, aber er wird der Komplexität nicht gerecht. Die Skills müssen trotzdem zu einem gewissen Ausprägungsgrad vorhanden sein, schliesslich nützt ein lernbereiter, charismatischer Experte nichts, wenn er das Metier nicht versteht und elementare Fachkompetenzen fehlen. Aber wenn diese Basis gegeben ist, dann macht die Persönlichkeit tatsächlich den Unterschied aus. Darum ist das Kompetenzmanagement auch mehr als nur ein Skillmanagement: Es bezieht die Persönlichkeit und die Werte mit in die Wirkung und die Handlung ein.
Wie schätzen Sie die Personalentwicklungssituation in der Schweiz ein? Wird gezielt und auf die zukünftigen Herausforderungen abgestimmt weitergebildet oder passiert vieles noch beliebig und wenig zielgerichtet?
Wir sind uns in der Schweiz sehr wohl bewusst, wie wichtig die Mitarbeitenden und ihre Kompetenzen sind. Ich erlebe tagtäglich, wie viel hier investiert wird. Nicht umsonst sind wir im Bereich der Innovation und Forschung mit bei der Weltspitze dabei. Auch unser duales Bildungssystem trägt massgeblich zu diesem Erfolg bei, weil es eben im Grundsatz den Kompetenzaspekt schon immer im Kern hatte. Und gerade in diesem Umfeld findet eine Anpassung an die aktuellen Trends immer sehr rasch und teilweise unkompliziert statt. Dieses Wissen kann dann auch von der Personalentwicklung zielsicher genutzt werden.
Auch die Umstellung zum Lehrplan 21 hilft mit, dass bereits früh die Kompetenz und die Wirkung im Vordergrund stehen und nicht die Wissensvermittlung. Ein weiterer Vorteil ist sicher auch, dass wir in der Schweiz einen hohen Anteil an selbstgesteuerter Kompetenzentwicklung haben.
Es gibt aber auch Herausforderungen. So sind wir dennoch auch ein wenig träge und ruhen uns zu oft auf dem Erreichten aus. Insbesondere bei neuen Technologien und nachhaltigen Trends könnten wir sicher noch mehr erreichen, wenn Gesellschaft, Unternehmen und das Bildungswesen konsequenter reagieren würden.
Hat der «Cultural Fit» von Stellenanwärter*innen zum Unternehmen mehr Gewicht als die lückenlose Abdeckung aller gewünschten Skills resp. Kompetenzen?
Das ist tatsächlich ein kontrovers diskutierbarer Punkt. Die Antwort liegt daher im aktuellen Kontext der Organisation. Im Moment einer Konsolidierungsphase bringt ein passender Cultural Fit die notwendige Ruhe in ein Team oder Unternehmen. Im Gegenzug kann es sein, dass neue Kompetenzanforderungen, z.B. in der Technologie, gleichzeitig auch bestehende Verhaltens- und Kulturmuster aufbrechen müssen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. In dem Fall ist ein hoher Fit eher hinderlich. Die Frage ist also: Was ist wichtiger, um die gewünschte Wirkung zu erzielen?
Denken Sie, dass Unternehmen zu stark auf Diplome und Abschlüsse fokussieren? Sollten Kompetenzen losgelöst von formalen Bildungsabschlüssen betrachtet werden?
Solange mit dem Diplom oder dem Abschluss keine rechtlichen Bedingungen verknüpft sind, auf jeden Fall. Schlussendlich geht es doch darum, ob jemand seinen Job, seinen Auftrag, seine Tätigkeit erfolgreich ausübt, unabhängig, wann, wie und wo er diese Kompetenzen entwickelt hat. Das Fokussieren und das Setzen von gewissen Diplomen und Abschlüssen als indestanforderung sind am Schluss nichts anderes als eine Effizienzsteigerung und ein Hilfsmittel zur Arbeitsvereinfachung in der Personalselektion. In Zeiten des Arbeitgebermarkts mag das funktionieren, auf einem ausgetrockneten Arbeitsmarkt oder in einem jungen Bildungs- oder Technologiegebiet funktioniert das nicht. Dort müssen auch alternative Berufsbiografien in Betracht gezogen werden.
Sollten Unternehmen Quereinsteigern deshalb mehr Chancen einräumen?
Unbedingt. Und zwar nicht nur aus obigem Grund, sondern vielmehr, weil diese alternativen Berufsbiografien oftmals bezüglich Kompetenzentwicklung genau den Mehrwert zu echten Kernkompetenzen leisten. Andere Ansichten, andere Vorgehensweisen, andere Methoden, um die gleiche Wirkung zu erzielen, sind für jedes Unternehmen wertvoll. Kleinere Firmen und Start-ups profitieren ja meist genau davon, dass es noch nicht die fixen Berufsbilder und Funktionen gibt, sondern die Mitarbeitenden auch ihre persönlichen Stärken einbringen. Unternehmen müssen unbedingt auch diesen Aspekt der Diversität berücksichtigen.
Man spricht immer noch von Schlüsselpositionen in Unternehmen, deren adäquate Besetzung für den Geschäftsgang entscheidend ist. Sie betonen in diesem Zusammenhang aber die Wichtigkeit von Schlüsselkompetenzen. Kommt es nicht mehr auf einzelne Personen an?
Doch, denn am Schluss steht hinter jeder Kompetenz immer noch eine Person. Der Unterschied liegt darin, dass die Schlüsselkompetenz nicht mehr an die Schlüsselfunktion gebunden ist. Schlüsselkompetenzen werden auf allen Hierarchiestufen und auch in allen Unternehmensbereichen zu finden sein. Oder – und das ist noch entscheidender – sie sind ausserhalb des Unternehmens zu finden. In Zukunft ist nicht mehr die Funktion entscheidend, sondern die Kompetenzen, welche die Person für das Unternehmen einbringt. So ist vielleicht der Forschungsexperte für das Unternehmen weit wichtiger als der ihm überstellte Abteilungsleiter, die externe digitale Marketingexpertin für den Unternehmenserfolg relevanter als ein Bereichsleiter.
Die neuen Organisationsformen nehmen diesen Ansatz bereits auf, indem mit Rollen gearbeitet wird und nicht mehr mit den klassischen Funktionen. Nun gilt es als Nächstes, nach den Hierarchie- auch noch die Unternehmenshürden zu überwinden.
Ist ein Kompetenzmanagement die Lösung für den Fachkräftemangel?
Teilweise ja. Das Kompetenzmanagement kann zwar bei disruptiven Veränderungen auch nicht alle benötigten Kompetenzen in der gewünschten Anzahl und Ausprägung bereitstellen. Die Kompetenz- und Personalentwicklung ist aber als integrierter Bestandteil der Unternehmensentwicklung die schnellere und günstigere Variante zu teuren und unsicheren Rekrutierungsprozessen.
Zudem bereitet ein funktionierendes Kompetenzmanagement proaktiv auf mögliche Veränderungen vor, nimmt Herausforderungen vorweg und stellt vor allem den Zugriff auf zukünftige Kompetenzen im Unternehmen oder im Netzwerk sicher.
Wie sieht die Zukunft des Kompetenzmanagements aus?
Ich bin überzeugt, dass der kompetenzbasierten Unternehmensführung die Zukunft gehört. Sämtliche grösseren unternehmerischen Herausforderungen wie Technologie-Shift, neue Organisationsformen, Agilität, New Work und neue Kollaborationsformen werden nicht mit der klassischen, auf Retrospektive aufgebauten, Unternehmensführung gelöst.
«Dynamischer, offener und kollaborativer, das sind die Unternehmen oder Geschäftsbereiche der Zukunft. Und das Kompetenzmanagement trägt den entscheidenden Teil dazu bei, weil es die Wirkung und die Handlung in den Vordergrund stellt.»
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Bildquelle: INOLUTION Innovative Solution AG
Als Geschäftsleiter der INOLUTION unterstütze ich Unternehmen darin, die zukünftigen tragfähigen Werte und notwendigen Kompetenzen zu erkennen, zu definieren und sie auf den Weg dorthin zu befähigen. Als Brückenbauer zwischen Theorie und Praxis, Wissenschaft und Praktikabilität und mit der Erfahrung aus weit über 100 erfolgreichen Projekten unterstütze ich von ganzheitlichen Konzepten über praxisorientierte Lösungsimplementierung bis zu situativen Sparrings.
Denn ich bin der Überzeugung, dass das Kompetenz-und Performance-Management sowohl im operativen, als auch im strategischen Bereich das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft hat. Ich nenne das Kompetenz-Management 4.0 - kompetente Mitarbeitende heute, morgen und übermorgen.
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